Minarettbau in Wiesbaden
1. Frage

AfD-Stadtverordneter Robert Lambrou
Am 5. Januar 2017 hat die Stadt Wiesbaden erstmals eine Baugenehmigung für eine Moschee mit Minarett erteilt. Es wird das allererste Minarett im Wiesbadener Stadtbild sein. Damit hat die Ahmadiyya-Gemeinde aktuell praktisch ein Exklusivrecht.
In diesem Zusammenhang und mit ausdrücklichem Bezug auf die gescheiterte Bewerbung Wiesbadens zum Weltkulturerbe frage ich den Magistrat:
- Will die Stadt aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes in Zukunft allen anderen in der Stadt jetzt bestehenden und zukünftig beantragten Moscheen, bei entsprechenden Anträgen durch die moslemischen Gemeinden, ebenfalls ein Minarett genehmigen?
- Nimmt die Stadt Wiesbaden in Kauf, dass das Gesamtbild der Stadt, welches nach Einschätzung der Initiatoren der Bewerbung zum Weltkulturerbe absolut schützenswert ist, durch diesen Präzedenzfall grundlegend verändert wird?
- Ist nach der gescheiterten Bewerbung der Stadt Wiesbaden als Weltkulturerbe das zukünftige Erscheinungsbild der Stadt nicht mehr so wichtig?
2. Antwort
Die Frage des Stadtverordneten Lambrou beantworte ich wie folgt:
Grundlage für die Erteilung einer Baugenehmigung in Wiesbaden sind die Vorschriften des Baugesetzbuches (BauGB) und der Hessischen Bauordnung (HBO). Die Befugnis zur Erteilung von Exklusivrechten sieht das Baurecht nicht vor, wurde somit auch bei dem angesprochenen Bauvorhaben nicht erteilt.
Nach der HGO sind Baugenehmigungen zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
Bezüglich der Gestaltung regelt die HBO, dass bauliche Anlagen
- Nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe so gestaltet sein müssen, dass sie nicht verunstaltet wirken,
- Mit ihrer Umgebung derart in Einklang zu bringen sind, dass die das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten.
Die Einzelfallprüfung der genehmigten Moschee in der Sommerstraße hat ergeben, dass das Gebäude mit der Umgebung in Einklang zu bringen ist. Der überwiegende Teil des Baukörpers ist mit einer Höhe von 4,50 m vorgesehen, lediglich die Kuppel und das Zierminarett sind in der Höhe auf 11,90 m begrenzt.
Bei der Moschee in der Sommerstraße handelt es sich um einen Sakralbau, bei dem Kuppel und Minarett Ausdruck religiöser Nutzung der in Wiesbaden ansässigen Gemeindemitglieder der Ahmaddiya Gemeinde sind. Im Vergleich zu Sakralbauten anderer Religionen hat das Verwaltungsgericht Frankfurt bereits 2001 erläutert, dass beim Bau einer christlichen Kirche die Forderung, ihr Kirchturm dürfe benachbarte Wohnhäuser nicht überragen, abwegig sei.
Aus der Nutzung werden keine Belästigungen oder Störungen entstehen, die nach der Eigenart dieser Fläche für Gemeinbedarf unzulässig wären. Unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen sind auch nicht zu erwarten, da nach der Betriebsbeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung ist, das Minarett weder begehbar ist noch Lautsprecher angebracht werden. Der Gebetsruf unmittelbar vor Gebetsbeginn wird lediglich innerhalb der Moschee zu hören sein.
Da Sie im Zusammenhang mit der Baugenehmigung ausdrücklich Bezug auf die Bewerbung Wiesbadens zum Weltkulturerbe genommen haben, gehe ich nun auf diesen Bezug ein:
Der Standort der Moschee in Dotzheim liegt weit außerhalb der Stadtgebiete, die als Weltkulturerbezonen vorgesehen waren und die historisch gemeinhin als für Wiesbaden typisch gelten. Es kann daher nicht von einer Gefährdung des historischen Stadtbildes durch diese Moschee mit Minarett gesprochen werden.
Aber auch ungeachtet dieses Standortes ist bei Sakralbauten, also Gebäuden, die der Religionsausübung dienen, die besondere Tradition und Kultur Wiesbadens zu berücksichtigen. Dies war gerade für die „Weltkurstadtzeit“ bis 1914 von einer ausgesprochen religiösen Toleranz geprägt. Ebenso war Internationalität der großen Kurstädte Voraussetzung für ihr Erblühen. Und diese Internationalität gehört heute noch zu ihren zentralen kulturellen Traditionen. Dies drückte und drückt sich an in vielen Stellen in den Sakralbauten in Wiesbaden aus. So erhielt die englische Kirche am Warmen Damm einen prominenten Standort im Herzen der Stadt.
Die in Wiesbaden vorherrschende Toleranz wurde auch in Bezug auf die Baustile besonders deutlich bei dem eindrucksvollen Bau der jüdischen Synagoge am Michelsberg. Diese wurde 1869 im „maurisch-byzantinischen Stil“ errichtet, und damit bewusst „fremdländisch“ akzentuiert. An dieser hervorragenden Stelle waren die Kuppeln der Synagoge aus allen Himmelsrichtungen her sichtbar.
Wie Sie wissen, wurde diese Synagoge während der Progromnacht vom 9./10. November 1938 von Nationalsozialisten in Brand gesetzt und in Schutt und Asche gelegt. Seit 2011 erinnert uns die Gedenkstätte Namentliches Gedenken am Michelsberg an diese Gräueltat. Die Umrisse der Synagoge sind im Bodenbelag dargestellt und das Denkmal macht mit seinen sieben Metern hohen Stahlbetonwänden die Ausmaße der ehemaligen Synagoge an dieser Stelle sichtbar. Die zerstörten Kuppeln jedoch leben nur noch in unserer Erinnerung weiter.
Heute noch sichtbar ist der bekannteste Sakralbau der Stadt, und zugleich auch eines ihrer Wahrzeichen: die Russische Kirche (umgangssprachlich auch griechische Kapelle genannt). Die Russische Kirche hebt sich ganz bewusst von mitteleuropäischen Baustilen ab und überstrahlt mit ihren goldenen Kuppeln die Stadt und symbolisiert damit heute noch die Tradition der Internationalität und Toleranz unserer Stadt.
Was alle diese im 19. Jahrhundert errichteten Sakralbauten eint, ist ihre herausragende architektonische Qualität. Dies ist der Maßstab, an dem sich alle Bauvorhaben im Kerngebiet Wiesbadens zwingend orientieren sollten.
Eingedenk des Zeitgeschmacks des Historismus, in dem z.B. 1899 auch das Café Orient im maurischen Stil unter den Eichen entstand, halte ich es im Bereich des Möglichen, ja sogar des Wahrscheinlichen, dass eine Moschee mit Minarett, sofern es den Bedarf einer religiösen Gemeinde gegeben hätte, in der Weltkurstadt Wiesbaden vor über 100 Jahren auch genehmigt und toleriert worden wäre.